Okinawa
Sucht man im Internet nach Informationen zur japanischen
Präfektur und Insel Okinawa, so kann man auch getrost den
Suchbegriff
„Insel der
Hundertjährigen“ eingeben. Diesen Beinamen
hat sich die Insel redlich verdient, da auf ihr nebst Sardinien die
meisten (Über-)Hundertjährigen auf der Welt leben. So
ist ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung etwa 5-fach
höher als in Deutschland. Im Gegensatz zu anderen angeblichen
Hochburgen der Alten, wie das Hunzatal in Pakistan oder der Kaukasus,
gelten bei Okinawa die demographischen Daten als sehr belastbar, da
diese nicht auf Schätzungen sondern auf seit 1879 amtlich
geführten Familienregistern beruhen.
Doch die Senioren Okinawas haben, sofern sie das 65. Lebensjahr
überschritten haben, mit 89 (
w) bzw. 84 (
m)
Jahren nicht nur weltweit die höchste Lebenserwartung, sondern
sie
sind bis ins hohe Alter gesund und aktiv. Daher,
sie verbringen nicht wie viele nordamerikanische oder
europäische Rentner ihr letztes Lebensdrittel gepeinigt von
Krankheiten und Verfall, wogegen Unmengen von Medikamenten eingenommen
werden. Der Grund ist, dass auf Okinawa die vermeintlich normalen
Alterskrankheiten schlichtweg sehr selten sind. So ist das Risiko, an
einer koronaren Herzerkrankungen zu sterben etwa 80 %
geringer als in den USA, Brustkrebs ist hingegen um 82 %
weniger
wahrscheinlich, Prostatakrebs sogar um 86 % (
USA
today).
All diese Erkenntnisse stammen von dem Forschungsprojekt
„The
Okinawa Centenarian Study“,
das seit 1975 dem Phänomen der Langlebigkeit auf Okinawa
nachgeht.
Wie zu erwarten, sollte sich die Studie nicht an Statistiken zu
Lebensalter und Gesundheitszustand erschöpfen, sondern
Erklärungen für dieses Phänomen liefern. So
geschen. Das
Ergebnis ist ein Komplex aus Ernährungsgewohnheiten,
körperlicher Aktivität und sozial geprägter
Spiritualität.
Ernährungsgewohnheiten
Kurzgefasst ist die traditionelle Ernährungsweise auf Okinawa
eine
beiläufige aber konsequente Umsetzung dessen, was
Wissenschaftler
und Mediziner als in höchstem Maße gesund postu-
lieren. Sie
ist reich an Obst und Gemüse, Fisch wird dem Fleisch
vorgezogen,
und als wichtiger Eiweißlieferant dient das cholesterinfreie
Soja. Im Ergebnis bietet diese Ernährung einen hohen
oxidativen
Schutz gegen die sog. freien Radikale, die bei Stoffwechselprozessen
Körperzellen angreifen, sie minimiert die Belastung der
Arterien
durch die Abwesenheit von tierischen, gesättig- ten
Fettsäuren sowie Cholesterin, schließlich beugt sie
Krankheiten vor, die auf das lasterhafte Dreigestirn Zucker, Salz und
Alkohol zurückzuführen sind, da dieses kaum eine
Rolle in der
Ernäh- rung spielt. Typische Lebensmittel sind:
Süßkartoffeln
(Hauptlieferant für Kohlenhydrate, niedrige
glykämische Last;
vgl. http://www.jacn.org/cgi/content/abstract/28/4_Supplement_1/500S)),
fermentierter Tofu
(
„Tofu-yo“, reich an
Flavanoiden, nicht mit
handelsüblichem
Tofu zu verwechseln!),
Fisch (v.
a. Tunifisch, Makrelle; enthält Omega- 3-Fettsäuren),
Shiitake-Pilze
(protein- und vitaminreich, antioxidativ),
Kurkuma-Gewürz
(antioxidativ und entzündungshemmend),
Jasmintee
(schützt besser vor Krebs als grüner Tee aufgrund
mehr Lignane), usw.
Genauso wichtig wie das, was die Okinawer essen, ist das was sie nicht
essen. Gemeint ist der Verzicht auf die letzten 20 % einer Speise, die
zur Sättigung führen. Diese der kargen Vergangen-
heit
verschuldete Regel, um sparsam mit Essen umzugehen – genannt
„hara
hachibu“,
iß nur 80 % – entspricht der
effektivsten
bekannten Anti-Aging-Strategie, der Kalorienrestriktion. Zwar fehlt
beim Menschen noch der endgültige wissenschaftliche Nachweis,
für viele Tierarten gilt die Wirksamkeit dieser Strategie aber
als
gesichert. Durch Essensverzicht wird die Langlebigkeit auf zweierlei
Weise befördert. Einerseits führt die
gezügelte
Nährstoffzufuhr zu einer Verlangsamung des Stoffwechsels,
mithin
zu weniger oxidativem Stress und weniger Stoffwechselfehlern.
Andererseits wird weniger Insulin ausgeschüttet, welches als
Wachstumsfaktor die Zellteilung ankurbelt, so dass der Körper
sich
nicht durch Zellteilung regeneriert, sondern sich auf die Reparatur
vorhandener Zellen konzentriert. Bekanntlich ist die Anzahl
möglicher Zellteilungen durch das Hayflick-Limit begrenzt
(nach 50-70 Teilungen ist diese Form der Regenaration
erschöpft) und die Zellreparatur bewahrt dieses Potential.
Aktive Lebensführung
Eine weitere Eigenart ist bezeichnend für Okinawa: So wie es
im
lokalen Dialekt kein Wort für Pensionierung gibt, so ist
dieser
Einschnitt in der traditionellen Lebensweise nicht vorzufinden. Tag
ein, Tag aus Verweilen im Schaukelstuhl kennt man dort nicht. Als
Selbstversorger (Ackerbau, Garten, Fischer, Viehzucht) sind die
Okinawer im Familienverbund auch im Alter gefordert. Auch in der
Freizeit sind sie Bewegung nicht abhold: Karate und
traditionelle
Tänze gehören landläufig zu den zeitlebens
aktiv betriebenen Hobbys, die
das
Gesundbleiben in Gemeinschaft fördern.
Sozialer Zusammenhalt im Glauben
Ebenso wie die
Leidenschaft für Sport trägt auch die Religion der
Okinawer
zum sozialen Zusammenhalt bei, von dem der Einzelne profitiert. Der
Ryukyuan-Glauben (ein Ahnenkult) sowie die damit
verbundenen gemeinsam praktizierten Riten und begangenen Feste geben
dem Leben Sinn und Struktur, stärken die gegenseitige
Rücksichtnahme und
Hilfsbereitschaft und helfen, dem Alltagsstress zu begegnen
und
gar nicht erst aufkommen zu lassen. Einsamkeit und Niedergeschlagenheit
kommen so gar nicht erst auf, vielmehr sind im
täglichen Leben generationenübergreifende
Zusammenkünfte
in der Familie und auch außerhalb fest verankert.
Leider macht der zivilisatorische
„Fortschritt“
auch vor Okinawa keinen Halt. Nicht
alleine aufgrund der Dauerpräsenz des US-Militärs
nach dem zweiten
Weltkrieg hielt der immer wieder als überlegen proklamierte
westliche Lebensstil Einzug. Fast food-Restaurants
sprossen wie Pilze aus dem Boden, das hochkalorische Bier wurde beim
Feiern unabkömmlich und überhaupt gerieten
traditionellen Ess- und Lebensgewohnheiten nach und nach aufs
Abstellgleis. Die vielgepriesenen Vorzeige-Okinawer sind daher fast
durchweg unter den Inselältesten vorzufinden, während
die Jugend stärker noch als im restlichen Japan den westlichen
Lastern zu frönen scheint. Jedenfalls liegt die
Lebenserwartung für Männer inzwischen unterhalb
des japanischen Landesdurchschnitts.
[1]